Doppelgänger des Tanzes

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Kritik

Doppelgänger des Tanzes

Wer darf eigentlich den Schuhplattler tanzen, und wer darf twerken? Julian Warner und Oliver Zahn vom Künstlerkollektiv HAUPTAKTION gehen in einer Essayperformance der Bedeutung von Imitation, Aneignung und Parodie verschiedener Tanzstile nach. Blogger Matthias van den Höfel entdeckte eine doppelte „Situation mit Doppelgänger“.

 

Von Matthias van den Höfel

Eine Frauenstimme aus dem Off. Sie berichtet von einem Tanzwettbewerb, der stattfinden soll zwischen den beiden vielleicht fähigsten Tänzern ihrer Zeit. Beide behaupten von sich, jeden beliebigen Tanzstil perfekt imitieren zu können; eine Jury soll entscheiden, welcher von beiden diesem Anspruch mehr gerecht wird. Bewertet würde nach Timing, Ausführung und Authentizität des jeweiligen Tanzes – interessant genug bei einem Wettbewerb zweier Meister der Imitation.

Die beiden Tänzer seien Stars von Minstrel Shows, jener amerikanischen Unterhaltungsform, in der Weiße mit schwarz bemalten Gesichtern für ein weißes Publikum Karikaturen und Stereotype von und über Schwarze auf die Bühne brachten. Der eine der beiden Tänzer, John Diamond, sei irischer Herkunft; der andere, der unter dem Künstlernamen Master Juba auftritt, sei einer der ersten Afroamerikaner, die bei diesen Shows mitwirkten.

Julian Warner und Oliver Zahn / HAUPTAKTION nehmen in ihrem Stück „Situation mit Doppelgänger“ diesen Tanzwettbewerb, der in den 1840er Jahren in den USA stattgefunden hat, zum Ausgangspunkt für eine Suche nach der Bedeutung von Imitation, Aneignung und Parodie, für die Entwicklung und Verbreitung verschiedener Tanzstile. Sie übernehmen die Form des Wettbewerbs, um in vier Disziplinen und einem Zwischenspiel so unterschiedliche Tänze wie den Schuhplattler, das Twerken und den Cakewalk zunächst im Stile des Wettbewerbs vorzuführen und sie dann, unterstützt und geleitet von der Stimme aus dem Off, in verschiedene Kontexte einzubetten.

Anfangs bestätigt uns das, was die Stimme erzählt, in dem, was wir ohnehin denken. Wenn beschrieben wird, wie beim G7-Gipfel in Bayern der Schuhplattler als authentischer Volkstanz aufgeführt wird, vor einem Publikum, in dem unter anderem US-Präsident Obama sitzt, dann lachen wir. Wenn in der Folge beschrieben wird, wie derselbe Schuhplattler schon über 100 Jahre zuvor von einer afroamerikanischen Tanzgruppe in Leipzig aufgeführt wurde, in offensichtlich ironischer Absicht und unter lautem Gelächter des sächsischen Publikums, dann lachen wir noch mehr. Aber mit der Zeit drängt sich die Frage auf: Wie verlässlich ist eigentlich das, was uns die Stimme erzählt, wie angemessen ihr sicherer, vielleicht zu sicherer Tonfall? Spätestens, wenn sie während des letzten Blocks glaubhaft machen möchte, dass sich der vorgestellte Tanz sicher aus Bildern und Augenzeugenberichten rekonstruieren lässt, dann tauchen Fragezeichen auf; immerhin spricht sie von einer Aufführung, die 1820 stattgefunden haben soll.

Letzte Ursprünge

Auch die Theorien, die sie im zweiten Block über den möglichen, den eigentlichen Ursprung des Twerkens referiert, weisen uns auf die Gefahr allzu großer Selbstgewissheit in der Be- und Verurteilung von Tänzen, Tänzern und Tänzerinnen hin: So ist das Twerken prägender Bestandteil einer in der Bounce-Szene üblichen Tanzweise; aber vielleicht geht er auch weiter auf afrikanische Stammestänze zurück. Entzieht das der Kritik derer, die die Aneignung des Twerkens durch weiße Stars wie Miley Cyrus verwerflich finden, den Boden, weil der letzte, der echte Ursprung viel weiter zurückreicht? Oder sind Argumentationen, die mit Begriffen wie Authentizität und Diebstahl argumentieren, vielleicht insgesamt problematisch?  HAUPTAKTION geben keine klaren Antworten auf diese Fragen, aber sie schaffen es, unsere manchmal sehr schnellen, bescheidwisserischen Urteile zu verunsichern, und laden uns ein, einen zweiten, offeneren Blick zu riskieren.

Auf diese Art zeigt „Situation mit Doppelgänger“ auf der einen Seite die Geschichte des Tanzes als eine Geschichte von Aneignungen, Parodien, Missverständnissen, von Dominanz und Subversion, von Globalisierung und Moden, von der Behauptung von Authentizität und der Suche und Konstruktion von Identität. Im Mittelpunkt steht immer auch die Beziehung zwischen Weißen und Schwarzen, die Geschichte der Kolonialisierung, die Situation der Afroamerikaner. Tanz wird in diesem Zusammenhang zum Mittel eines mal unterschwellig, mal offen geführten Machtkampfs: Bewegungen, Haltungen, Tänze der anderen werden der Lächerlichkeit preisgegeben, etwa durch das spöttische Überzeichnen weißer Schreittänze im Cakewalk oder die Stereotypisierung schwarzer Tänze in den Minstrel Shows.

Auf der anderen Seite spielt das Stück mit der Spannung zwischen Tanz und Sprache. Immer wieder erwähnt die kommentierende Stimme aus dem Off, wie in der zeitgenössischen Diskussion Aneignungen von Tänzen mit dem Vorwurf begegnet wurde, sie würden 'die Linie des Anstands', 'the line of decency' überschreiten. Doch diese Vorwürfe gründeten selten auf dem, was uns heute als das Verwerfliche an diesen Aneignungen erscheinen würde: Der Rassismus, die Machtausübung, das Lächerlichmachen. Vielmehr ging es immer wieder um sexuelle Anstößigkeit, Sexualisierung, das Herabwürdigen der eigenen (weißen) Rasse durch die Übernahme schwarzer Tänze.

Tanz gegen Diskussion

So spielt der Titel „Situation mit Doppelgänger“ nicht nur auf die Tatsache an, dass die Geschichte des Tanzes die von Imitation, Dominanz, Subversion, Parodie war und ist und darum Tänze und Tanzelemente manchmal fast unverändert in anderen Kontexten auftreten und dort eine völlig andere Bedeutung erhalten konnten; er verweist auch auf die Struktur des Stücks selbst und damit auf den Diskurs um Tanz und Tänze. So wird die mit Worten geführte Diskussion zum Doppelgänger des Tanzes; in den Diskussionen finden sich in immer anderen Kontexten dieselben Versatzstücke: Authentizität wird reklamiert, Diebstahl wird vorgeworfen, Linien des Anstands sollen überschritten worden sein. Das Stück und mit ihm die Geschichte der gezeigten Tänze wird selbst zu einem Wettbewerb, zu einem Wettkampf um Deutungshoheit, die Grenzen des Erlaubten und darüber, wer das letzte Wort hat: Der Tanz oder die Diskussion, die ihn besetzt und ihn benutzt, um ihrerseits Macht- und Abgrenzungskämpfe zu führen. Der Tanz zeigt sich dabei gegenüber der Diskussion als der elegantere, kreativere, mutigere, aber auch brutalere und dreistere Wettbewerber; die Diskussion, so kräftig sie mitunter gewirkt haben mag, steht behäbig und unbeholfen neben den Bewegungen der Tänzer.

Und doch behält sie am Ende vielleicht die Oberhand – weil die Kontextualisierungen, die sie bereit hält, so mächtig und oft auch wichtig sind; der Reiz, die Genialität mancher Tänze erschließt sich ohne die Geschichte, die um sie herum erzählt wird, manchmal gar nicht. Das führt „Situation mit Doppelgänger“ immer wieder vor, und gleichzeitig lädt es dazu ein, nicht zu unbeweglich zu werden in unserem Reden über Tänze.