Ohne Ego tanzt sich’s leichter


by Laura Biewald

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Digression

Ohne Ego tanzt sich’s leichter

Vormittags saß TPF-Autorin Laura Biewald noch mit ihrem Team zusammen, um über Themen und Beiträge für das Blog zur Tanzplattform zu sprechen. Am Nachmittag wechselte sie nicht nur Raum und Kontext, sondern sogar ihre Identität. Sie probierte das sogenannte PACT-Paket und nahm teil am Performance-Workshop mit Anja Müller.

Von Laura Biewald

Samstagnachmittag bei PACT. Für gewöhnlich dauert es noch ein paar Stunden, bis sich die Gänge und Räume der alten Waschkaue auf der Zeche Zollverein in Essen mit Leben füllen, etwa für den Besuch einer Vorstellung am Abend. Heute ist das anders: Auf der kleinen Bühne sitze ich im Kreis mit 15 anderen jungen Menschen und habe eine andere Identität angenommen: Ich stelle mich als Isabela Fredriksdottir vor, Filmemacherin aus Island, für ein Filmprojekt über die Industriekultur im Ruhrgebiet. Neben mir sitzt „Steve“. Steve kommt aus Schottland. Sein  Verhaltenstherapeut habe ihn hergeschickt, damit er seine Sozialphobie überwindet. Steve ist eigentlich eine junge Frau. Wir alle sind im „normalen“ Leben Studierende verschiedenster Fachrichtungen. Wir sind gekommen, um im Rahmen der sogenannten PACT-Pakete an einem Tanzworkshop der in Berlin lebenden und momentan bei PACT residierenden Performancekünstlerin Anja Müller teilzunehmen. Die Pakete sind aus je einem Tanzworkshop plus Vorstellungsbesuch zusammengeschnürt. PACT gibt damit interessierten Studierenden die Möglichkeit, die Arbeitsweisen von Künstler*innen kennenzulernen und sie im wahrsten Sinne des Wortes am eigenen Leib zu erfahren. 



Manche von uns kommen aus tanzfremden, andere aus tanznahen Bereichen. Doch das ist alles unwichtig. Es ist heute nicht von Bedeutung, wer wir sind, wo wir herkommen und was wir tun, denn die eigene Identität wird hier und heute abgelegt. Dafür wird eine neue, frei erfundene, angenommen. Anja Müller will mit uns in einen Prozess eintauchen, der erforschen soll, ob es möglich ist, den eigenen Körper zu transformieren und immer wieder von neuem zu rekonstruieren. Der Einstieg funktioniert erstaunlich gut: Alle Teilnehmer*innen erfinden in kürzester Zeit die ausgefallensten Charaktere für sich selbst, samt Name, Alter, Herkunft und dem Grund, warum sie heute hier sind. Es ist höchst spannend zu beobachten, wie die Gruppe sich Stück für Stück in etwas verwandelt, das sie heute sein möchte.


Mut zur Hässlichkeit


Wir verbringen die nächsten drei Stunden als fiktive Charaktere. Es ist fast kinderleicht, in der Vorstellung, jemand anderes zu sein, die folgenden Improvisationsübungen auszuführen und Mut zur Hässlichkeit zu beweisen. Das alles ist nicht neu für mich, ich habe schon viele Male an Tanz- und Improvisationsworkshops teilgenommen und doch ist es jedes Mal aufs Neue eine Herausforderung, den eigenen Körper für sich selbst sprechen zu lassen, statt eine perfekte oder ästhetisch konnotierte Leistung erbringen zu wollen. Ich überwinde also genau diese Hürde, um zu schauen, was dahinterliegt. Und das eine beachtliche Menge. Immer wieder bin ich im Nachhinein erstaunt, was mein eigener Körper mir zu erzählen hat, wo er mir seine Möglichkeiten und Grenzen aufzeigt. Und so lasse ich los, löse mich von dem, was vorher gewesen ist und von dem, was kommen wird. Ich spüre einfach nur. Mein Körper schüttelt sich, hüpft auf und ab, scheint manchmal gänzlich im Fluss aufzugehen und manchmal nicht zu wissen, was er tun soll. Das sind die Momente, die mich beschämen. Aber es sind gleichzeitig genau jene, in denen der Lernprozess beginnen kann. Mit diesen Momenten arbeitet Anja Müller, um Stücke oder neue Denk- und Bewegungsansätze zu entwickeln: Wahrnehmen, was ist: um sich herum, im Raum, in der Luft. Diese intensive Aufmerksamkeit soll dann in den Körper geleitet werden, um ihn das Wahrgenommene ausdrücken zu lassen. Das klingt schwierig. Und ist es auch – zumindest für mich.


In der Ruhe liegt die Kraft


Andere Übungen fallen mir leichter. Beispielsweise die Kontaktimprovisation zu zweit, in der wir uns von den über die Hände des Partners gegebenen Impulsen leiten lassen sollen. Oder das freie Schreiben:  Zehn Minuten lang dürfen wir all das zu Papier bringen, was uns spontan in den Sinn kommt – ohne dabei auf Satzbau, Rechtschreibung oder Logik achten zu müssen. Auch hier kommt es nicht auf bekannte Richtwerte an, sondern auf die innere Intuition. Das Ergebnis muss nicht im klassischen Sinne schön sein und in diesen zehn Minuten habe ich auch keine Probleme damit – es sieht ja keiner. Im nächsten Schritt aber sollen wir das, was wir aufgeschrieben haben, tanzen. Da ich über eine Blockade geschrieben habe, weiß ich kaum, was ich nun mit meinem Körper zeigen soll. Ich komme mir hilflos und furchtbar unkreativ vor. In gewisser Weise spiegeln dieses Gefühl und meine unsichere Körperhaltung dann aber genau das wider, was ich eben niedergeschrieben habe. Plötzlich wird mir etwas klar: Ich kann hier gar nichts falsch machen. Es gibt keine Lösung und auch keine Fehler. Was ist, das ist. Nicht mehr und nicht weniger. Ein wirklich ungewohnter Gedanke, mit dem ich mich auch in den darauffolgenden Übungen nicht so recht anfreunden möchte. Ich stoße an meine Grenzen und finde es frustrierend und interessant zugleich, daran zu scheitern, etwas richtig machen zu wollen. Aber ich erkenne, dass in der Überwindung dieses Gefühls etwas Neues, Kreatives, Schöpferisches entstehen kann.


Am Ende des Workshops frage ich Anja, wie genau das funktionieren kann, die Transformation des Bewusstseins in die Bewegung, also auf jede äußerliche Wahrnehmung eine physische Reaktion folgen zu lassen. Sie verrät mir, dass es noch einen wichtigeren Arbeitsschritt gibt als die Transformation selbst: die Meditation. Ich muss mich, meinen Geist und meinen Körper erst zur Ruhe kommen lassen, ihn still werden lassen und in mich und meine Umgebung hineinhorchen, ihn auf kommende Erfahrungen vorbereiten, um eine Transformation überhaupt erst möglich zu machen. Dafür reicht die Zeit heute leider nicht mehr. Ich wüsste zu gerne, ob mein Körper nach einer solchen Meditation andere Möglichkeiten hätte…



Neue Erkenntnisse


Nun bin ich keine professionelle Tänzerin, aber ich schreibe über Tanz. Genau wie in der Bewegung merke ich auch im Schreiben häufig, dass ich an meine Grenzen stoße. Ich nehme wahr und bin höchst aufmerksam, doch manchmal will mir die Transformation des Gesehenen oder Erlebten in Worte einfach nicht gelingen. Vielleicht gibt es da Parallelen. Vielleicht liegt auch hier der Schlüssel in einer Art Meditation, im Vorbereiten meines Geistes, meiner Hände auf den Text, der folgen wird, und er kann nur entstehen, wenn ich meinen Geist zur Ruhe habe kommen lassen. Ich werde es ausprobieren!
Ich für meinen Teil gehe anders aus dem Workshop heraus, als ich hineingegangen bin, mit Fragen im Kopf und auch Antworten, erschöpft und in mich gekehrt. Mein für diesen Nachmittag angenommenes alter Ego lasse ich jedoch zurück. Auf die anschließende Performance von Alma Söderberg freue ich mich als ich selbst.