I like it here

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Kritik

I like it here

In „Princess“ geht Eisa Jocson dem Mythos der Disney-Prinzessin auf den Grund und erforscht die Abgründe, die sich auftun, wenn man versucht, einen Zustand perfekten Glücks zu erreichen. Blogger Matthias van den Höfel fühlt sich gut unterhalten und so tief verunsichert, dass er am Ende froh ist, sich gleich im Anschluss ein anderes Stück anschauen zu dürfen.

 

Von Matthias van den Höfel

Ausgerechnet beim Putzen bewegen sie sich zum ersten Mal nicht mehr synchron: Der Dreck, den sie entdecken, scheint die beiden Disney-Prinzessinnen in Eisa Jocsons „Princess" immerhin so sehr zu beschäftigen, dass sie sich aufteilen müssen, um diese Irritation in den Griff zu bekommen. Bis dahin haben sich Jocson und ihr Mitperformer Russ Ligtas immer nur gemeinsam bewegt. Sie haben angefangen mit Aufwärmübungen: erst nur vorsichtige Bewegungen auf und ab, dann zur Seite, Gesten kommen hinzu, dann ein Lächeln, und schließlich Worte, Floskeln, auch sie synchron. Durch die Headsets sind uns die Prinzessinnen mit ihrem Atem und ihren Stimmen aufdringlich nahe, auch wenn sie anfangs noch Abstand halten zum Publikum.

Alles hat seine Ordnung im Leben der Disney-Prinzessinnen, alles ist Teil einer perfekten, klaustrophobischen Welt: Im immer gleichen Tonfall begrüßen sie Besucher*innen (oder sind damit schon wir im Publikum gemeint?), mit den immer gleichen Gesten sammeln sie Dinge auf, freuen sich, werfen sich weinend zu Boden, legen sich schlafen und stehen wieder auf, und immer wieder, wie um sich selbst zu bestätigen, sagen sie: „I like it here“. Diese ständigen, absurden Wiederholungen sind natürlich sehr komisch; wir im Publikum lachen oft und werden gut unterhalten. Aber ganz wohl fühle ich mich nicht in der Konfrontation mit dieser perfekten Ordnung, mit diesem System, das danach trachtet, sich auch die Unperfektheiten einzuverleiben, sie dazu zu nutzen, sich selbst zu stabilisieren. Die Prinzessin erscheint in diesem System als eine passive Konsumentin: Alles, was ihr begegnet, was ihr zustößt, findet sie niedlich, empörend, traurig, lustig, alles verfestigt ihre Position der narzisstischen Beobachterin, die ihr Leben bloß als einen Verlauf von Interessantheiten wahrnehmen kann, ohne selbst jemals aktiv werden zu müssen.

Das Publikum als Konsumobjekt

„Princess“ könnte also zu einer interessanten Analyse narzisstischer Persönlichkeitsmuster werden, aber dabei bleibt es nicht stehen. Der zweite Bruch im synchronen Nebeneinander der beiden Prinzessinnen findet statt, als sie einen verwunschenen Apfel essen und sich, bevor sie hineinbeißen, noch sagen: „I wish we will live happily ever after“. Dieser Apfel, der sich ebenso auf das Schneewittchenmärchen bezieht, wie er an den Apfel der Erkenntnis denken lässt, den Adam und Eva im Paradies essen, bringt sie dazu, auf einmal nicht mehr gleichzeitig und im selben Tonfall zu reden. Zwar stehen die Prinzessinnen nach kurzen, bald überwundenen Vergiftungserscheinungen wieder auf und scheinen so weitermachen zu wollen wie zuvor, aber nun drängt es sie, Kontakt mit dem Publikum aufzunehmen. Immer unabhängiger voneinander sprechen sie einzelne Zuschauer*innen an, lassen sich umarmen, bieten ihnen imaginären Kuchen an, fragen nach ihrer Herkunft. Aber auch diese Gespräche bleiben hohl. Sie sind zwar unterhaltsam für die, die zuschauen, und vielleicht auch für die, mit denen die Prinzessinnen sprechen, aber zunehmend werden sie mir unheimlich: Die Gespräche und die Prinzessinnen.

Über einen Smalltalk ohne jedes echte Interesse am anderen und ohne jede Möglichkeit, hinter die Fassade der Prinzessin zu gelangen, gehen diese Gespräche nie hinaus. So werden auch wir im Publikum, die wir angesprochen werden, zu Konsumobjekten: Konsumiert durch die Prinzessinnen und ihre perfekte Ordnung, konsumiert aber auch durch das übrige Publikum in seinem Unterhaltungsbedürfnis.

Auch den Prinzessinnen scheinen diese Gespräche irgendwann zuzusetzen. Manchmal ziehen sie sich auf die Bühne zurück, besprechen sich untereinander, um dann wieder getrennt ins Publikum zu gehen. Schließlich scheinen sie verunsichert über die Verunsicherung, die sie im Publikum hervorgerufen haben: „I'm awfully sorry“, sagen sie, „I didn't mean to frighten you“. Sie wiederholen diese Sätze immer wieder, dann treten neue hinzu: „I know because I was afraid“, „I'm ashamed of the fuzz i've made“, „But you don't know what I've been through“. Sie bauen eine Collage aus diesen Sätzen, werfen sie hin und her, bearbeiten sie, probieren mit ihnen herum, lehnen sich gegen sie auf, versuchen herauszufinden, ob sie nicht doch irgendwie das hergeben können, was sie mit ihnen ausdrücken wollen; ob sie nicht mehr sein können als bloße Floskeln, ob sie nicht doch das Potential zu einer echten Kommunikation haben.

Collage aus Floskeln

Schließlich stellen sie die Frage: „What do you do when things go wrong?“ Das Scheitern, der echte Fehler ist in dem System der Prinzessinnen nicht vorgesehen. Sie setzen ihre Collage aus Sätzen, aus Floskeln fort, immer drängender, immer verzweifelter, schließlich wütend. Irgendwann brechen ihre Stimmen, ihr prinzessinnenhaftes Gefistel geht in tiefere Tonlagen über, schließlich schreien sie uns mit diesen Sätzen fast an: „I'm awfully sorry! But you don't know what I've been through! What do you do when things go wrong!“ Eine Anklage an das Publikum, das sich über die Show, die sie geboten haben, amüsiert hat? Eine Anklage an sie selbst? Eine Anklage an die, die ihnen nur diese Floskeln, diese Gesten, diese kleine Prinzessinnenwelt gegeben und ihnen den ganzen Rest, das ganze eigentliche Leben verweigert haben?

Die Situation eskaliert, am Ende brüllen sie, das Dauerlächeln ist aus ihren Gesichtern längst verschwunden. Sie starren das Publikum an, dann beginnen sie eine Häutung, als würden sie versuchen, sich ihrer Rolle entledigen zu wollen. Auf allen Vieren, mit über den Kopf gestülptem Kleid befreien sie sich von ihrer Haarschleife, von ihren Schuhen, ihren Socken, ihren Perücken. Sie richten sich auf, immer noch in ihrem Kleid, aber ohne all die anderen Teile ihres Kostüms, schauen von neuem ins Publikum. Das könnte vielleicht die Befreiung sein aus dem Prinzessinnenkorsett, denke ich mir. Aber dann tanzen sie noch einmal, es sieht lebendiger aus als zuvor, aber ist es das? Schließlich stehen sie da, gehen auf und ab, sprechen ein paar verabschiedende Worte. Das Publikum ist unschlüssig: Klatschen wir jetzt? Ist es das jetzt wirklich gewesen? Die wirkliche Befreiung, das Aufatmen bleibt aus, ebenso ein deutlicher Abschluss: Auch beim Applaus bleiben Jocson und Ligtas in ihren Rollen. Auf den gelösten Blick ins Publikum, das Auflösen der Körperspannung, wie man es von vielen anderen Aufführungen kennt, warten wir vergeblich. Danach beziehen sie Position an den Ausgängen, verabschieden sich bei jedem Zuschauer und jeder Zuschauerin mit einem Lächeln, bedanken sich.

Als ich an Jocson vorbeigehe, versuche ich meine Gedanken zu sortieren. Was habe ich nun eigentlich gesehen? Eine Analyse narzisstischer Persönlichkeiten? Eine Kritik an repressiven Strukturen, die dazu führen, dass Menschen gefangen bleiben in hohlen Kommunikationsmustern, ohne Möglichkeit, jemals auszubrechen, jemals ganz sie selbst zu sein? Eine fatalistische Betrachtung der Bühnensituation an und für sich? Nach dieser faszinierenden wie beklemmenden Beunruhigung bin ich ganz froh, dass gleich das nächste Stück auf mich wartet.